Martin Amanshauser

Skeptiker im Schneidersitz

Wie der Schriftsteller Tim Parks durch Esoterik geheilt wurde aber sie immer noch hasst.

Tim Parks, Jahrgang 1954, bekannter britischer Romancier mit Wohnsitz in Italien, hatte Beschwerden jener Art, die man sogar seinen besten Freunden ungern gesteht: chronische Schmerzen im Prostatabereich. Wie jeder vernünftige Mensch in dieser Lage begab er sich zuerst in die Hände der klassischen Medizin – und erhielt weniger Antworten als Fragen. Denn seine spezifische Art von Schmerz, ein „glühender Felsbrocken in meinem Bauch”, gemeinsam mit „Pinkelproblemen“, ging trotz aller Behandlungen und Medikamente einfach nicht weg. Patienten mit Beckenbodenbeschwerden haben oft auch ein Reizdarmsyndrom. Na sicher. Na und?

„An alternative Medizin hatte ich nie geglaubt, nicht im Geringsten. Ich war stolz darauf, vernünftig, modern und westlich geprägt zu sein.“ Im Buch „Die Kunst stillzusitzen“ mit dem Untertitel „Ein Skeptiker auf der Suche nach Gesundheit und Heilung”, einer Art Lebens- und Leidensbericht, beschrieb Parks nun seinen Weg: über Diätexperimente, verzweifelte Internetrecherche bis zur Meditation. Irgendwann zwischendurch legt ihm ein ayurvedischer Arzt in New Delhi dar, er solle sich mit den „grundlegenden Widersprüchen in seiner Persönlichkeit“ auseinandersetzen – und bringt ihn auf eine neue Bahn. So unverfroren hatte ihm noch keiner den Anteil der Psyche ins Gesicht gesagt. Andererseits half ihm diese Erkenntnis zunächst wenig. Erst als Parks – dem früher bei einem Atemseminar bestätigt worden war, es gäbe „keinen Menschen, der sich so schlecht entspannen kann wie Sie“ – den Weg zur Meditation fand, änderte sich in seinem Kopf oder Körper etwas. Und er, der alte Zweifler, schaffte es entgegen jeder Hoffnung und Wahrscheinlichkeit, gegen seine Schmerzen vorzugehen.

„Ich glaube allerdings noch immer fest“, erzählt Parks im Interview, „dass nur das stimmt, was man durch Experimente beweisen kann. Meditation ist keine verschreibbare Medizin.“ Sondern nur eine vertrackte Art des Glaubensbekenntnisses? „Nein, es geht nicht ums Glauben. Du bist krank. Du versuchst also etwas, und du überprüfst, ob es funktioniert. Ich sehe jetzt, dass meine anfängliche Abneigung gegen Shiatsu und Meditation, zwei harmlose Praktiken, über die man ja viel Gutes hört, weniger auf meine Skepsis zurückzuführen waren als auf Angst. Ein Skeptiker sollte ja seinen Glauben an etwas zunächst in der Schwebe lassen, er sollte nicht gleich abwinken, ohne dass er es probiert hätte!“ Sein Verhältnis zur Medizin hat Tim Parks nicht vollständig aufgekündigt: „Bei einem bakteriellen Infekt bin ich dankbar, wenn mir mein Arzt ein Antibiotikum verschreibt. Aber heute würde ich bei komplizierteren Beschwerden stärker in Betracht ziehen, dass dieser Arzt zu fokussiert auf sein Spezialfeld sein könnte, zu versessen auf die Idee, Krankheiten nur mit Pillen und Operationen beizukommen.“

Der Weg zu seiner ersten Vipassana-Meditation war für Tim Parks kein leichter. Er rief vor seiner Buchung im Meditationszentrum an und warnte vor, dass er nicht im Schneidersitz würde sitzen können. Die Sitzhaltung sei nicht das Problem, beschied man ihm. Aber was wäre dann das Problem? „Zuerst war es eine schreckliche Schule des Schmerzes. Nicht einfach ein stilles Herumsitzen. Ich wollte viele Male aufgeben.“ Als Skeptiker hätte er doch oft die Gelegenheit gehabt, der Esoterik abzuschwören, wieso ließ er es nicht sein? „Weil Meditation nicht im geringsten mit Esoterik oder Mystik zu tun hat. Ich glaube, es ist ein großer Fehler dieser Meditationszentren, dass sie ihre Kunden auf diese Weise keilen. Vipassana ist so ziemlich das Gegenteil davon. Man fokussiert Geist, Atmung und körperliche Gefühle auf den Ausschluss aller weltlichen Gedanken. Wenn man dann endlich gelernt hat, den Geist für einige Zeit von Wörtern zu befreien und nicht automatisch auf Schmerz und Vergnügen zu reagieren, fühlt man sich ruhiger und kann sich selbst kontrollieren.“ Einige Leute suchten etwas anderes. „Wer eine mystische Erfahrung sucht, verlässt diese Veranstaltungen bald“, erzählt er, „es gibt Leute, die das dann regelrecht hassen.“

Die Erfahrungen während der meditativen Zerlegung seiner Persönlichkeit waren völlig neu: Juckreiz für Juckreiz, Pulsschlag für Pulsschlag erkundete Tim Parks seinen Körper, zum ersten Mal spürte er seine Zahnwurzeln. Am vierten Tag seiner ersten Meditation brach er in Tränen aus. Eine Erfahrung, über die er noch weniger gerne sprechen wollte als über seine Pinkelprobleme. Aber als guter Autor verschont Tim Parks die Leser natürlich nicht mit der Wirklichkeit – auch wenn er auf seinem Weg zwischendurch beschlossen hatte, das Schreiben aufzugeben.

Es wäre vor allem um seine Schlusskapitel schade gewesen, die einen „psalmodierenden“, fetten Guru namens Coleman skizzieren, um die achtzig, in Schlabbergewändern, mit seinem einbeinigen Übersetzer. Coleman labert von den Drei Juwelen, den Vier Edlen Wahrheiten, den Fünf Silas, den Sieben Stufen der Läuterung, dem Achtfachen Pfad zur Erleuchtung, den Zehn Betrachtungen, von Dhamma, Sangha, Karma, Anicca, Anatta, Samsara oder Dukkha. Parks weigert sich nämlich, die witzige Seite des New Age einfach zu übergehen. „Ich glaube nicht an Colemans Methoden“, erklärt er ein gängiges Missverständnis, „es sind auch nicht seine Methoden. Es ist einfach eine Technik, die sich für mich als sinnvoll erwiesen hat, so wie andere Leute Yoga sinnvoll finden.“

Sind seine Pinkelprobleme jetzt weg, ist sein Schmerz verschwunden? „Diese spezifischen Beschwerden sind fort, ja. Ganz selten tauchen sie in milden Formen auf, aber ich weiß, wie ich darauf antworte. Ich glaube, ich habe meine Schmerzschwelle versetzt. Ich kann jetzt einfach besser mit Schmerz umgehen.“

Tim Parks, Die Kunst stillzusitzen, Ein Skeptiker auf der Suche nach Gesundheit und Heilung, Verlag Antje Kunstmann 2010.